Sein Trick.

Von Paul Bliß..
in: „Tägliche Omaha Tribüne” vom 27.12.1917


Der kleine Baron Egon von Zeck stand vor dem Spiegel und strich selbstgefällig seinen schönen Schnurrbart in die Höhe. Alsdann betupfte er einige rauhe Hautstellen mit Toilettencreme, und zuletzt glättete er mit der seidenweichen Bürste ein paar widerspenstig hochstehende Härchen der Augenbrauen.

Er war prächtig bei Laune, der gute Egon. Nach einem überaus amüsanten Abend hatte er eine ruhige Nacht gehabt, und frisch gestärkt durch den gesunden Schlaf sah er nun mit seinen wasserblauen Aeuglein hoffend in den sonnigen Frühlingsmorgen hinein.

Dann ließ er sich in den bequemen Klubsessel fallen, steckte sich eine der neuen Melachrinos an und schaute wohlgefällig den duftig blauen Rauchringen nach.

Plötzlich kam Besuch. Der dicke Rautling war es. Ganz außer sich kam er zur Tür herein. Egon begrüßte ihn mit Schmunzeln, blieb aber stumm und deutete nur auf einen Sessel.

Fast atemlos begann der Dicke: „Egon, ist das wahr, was man sich von Dir im Klub erzählt?”

Ruhig lächelnd fragte der andere: „Was erzählt man sich denn wieder von mir?”

„Daß Du Dich mit der Claire von Bärwald verloben willst!”

Egon neigte lachend den Kopf. „Stimmt!”

Wortlos starrte Rautling ihn an. Nach einem Weilchen erst fand er die Sprache wieder. „Und ich wollte es absolut nicht glauben!”

„Weshalb wolltest Du es denn nicht glauben?”

„Es schien mir direkt undenkbar!”

„So?”Lächelnd blickten sie sich an. Dann schüttelte Rautling den Kopf. „Ein toller Kerl bist Du doch! Wie oft warst Du nun eigentlich verlobt?”

„Das weiß ich wirklich nicht, Dickerchen.”

„Nicht zu glauben — so etwas!”

Ruhig erwiderte Egon: „Aber was ist denn daran so verwunderlich, lieber Kerl? Wenn man einsieht, daß man sich geirrt hat, ist es dann nicht richtiger, man geht voneinander, bevor es zu spät ist? Eine eufgehobene Verlobung vergißt die Gesellschaft bald, aber eine geschiedene Ehe macht schon länger von sich reden. Ein Narr, der von zwei Uebeln nicht das kleinere wählt. Hab' ich vielleicht nicht recht?”

„Der Dicke hob die Schultern. „Vielleicht.”

„Nein, sondern unbedingt!”

Plötzlich fragte Rautling: „Und was wird die kleine Sebenstein dazu sagen?”

„Sie wird sich trösten, sich in das Unabänderliche fügen und mich vergessen.”

„Du glaubst, daß das so leicht geht?”

„Warum sollte es denn schwer gehen? Wir sind ja noch nicht einmal offiziell verlobt gewesen.”

„Aber man sagt, Du hättest sie wirklich geliebt!”

„Was sagt „man” nicht! — Uebrigens habe ich sie auch wirklich geliebt. — Aber, lieber Himmel, ich bin eben ein praktischer Mensch. Von der Liebe kann man nicht solch Leben bezahlen, wie ich es zu führen gewohnt bin. Sie hat nichts, und ich habe nichts. Nullen werden aber erst was, wenn ein Einser davor steht.”

„Ich denke, Ihre Bilder werden so gut bezahlt!”

„Vielleicht. Aber eine Baronin von Zeck, die den Haushalt vom Erlös ihrer Porträts bestreitet — die Chose hat einen leichten Beigeschmack, finde ich. — Geldverdienen ist ja 'ne recht nette Sache, aber es ist mir doch lieber, wenn das der Schwiegerpapa besorgt.”

„Ein toller Kerl!” lachte Rautling.

Egon blies den Rauch von sich. „Weniger toll als praktisch. Das moderne Leben erzieht uns ja so.”

„Na, und Du glaubst wirklich, daß Dich die kleine fesche Malerin so ohne weiteres freigeben wird?”

„Sie wird es, mein Kerlchen, verlaß Dich darauf. Mein erprobter Trick bürgt mir dafür.”

„Ach, und darf man erfahren?”

„Nee, das darf man nicht! Solche Idee kann man sich nicht gesetzlich schützen lassen, um so geheimer hält man sie also.”

„Nun denn — ich wünsche Glück!” Lächelnd geleitete Egon den Freund hinaus.

Als er wieder allein war, rieb er sich vernügt die Hände und summte eine lustige Melodie. Dann ging er ins Schlafzimmer und machte Toilette — sorgfältig, sogar sehr sorgfältig, denn nun kam ja der feierliche Moment, wo er mit Hilfe seines genialen Tricks seine geliebte Freiheit wieder erobern wollte, um dem neu gewonnenen kleinen Goldfisch die Freiherrnkrone in aller Form antragen zu können.

Nach einer halben Stunde war er auf dem Weg zu Lucie Sebenstein. Die junge Malerin war nicht daheim. Aber Tantchen Milli, des Hauses Hüterin, ließ ihn, als alten Freund der Familie, eintreten. So saß er im Atelier und wartete.

Doch schon nach zehn Minuten kam Lucie. „Tausendmal Verzeihung, lieber Baron! — Ein ganz notwendiger Gang!” Freundlich reichte sie ihm die schmale weiße Hand hin, die er ehrerbietig küßte. Plotzlich war alle Heiterkeit von seinem Gesicht verschwunden, mit trübseliger Leidensmiene stand er da. Ein wenig erstaunt sah sie ihn an. Dann fragte sie heiter: „Was ist Ihnen denn, Barönchen? So habe ich Sie ja noch niemals gesehen.”

„Fräulein Lucie,ich bin der unglücklichste Mensch von der Welt!” stotterte er.

„Ja, um Gotteswillen, was ist denn nur geschehen?”

„Das Furchtbarste, was einem Mann passieren kann.”

„Aber so reden Sie doch! Sie ängstigen mich!”

Er nahm einen kleinen Anlauf und begann mit bebender Stimme: „Mein Vater ist gegen unsere Verbindung.” — Pause. — Sprachlos, wie erstarrt sah sie ihn an.

Mit leiser, zitternder Stimme fuhr er fort: „Im Ernst, meine Gnädigste, es ist leider so.”

Noch immer schwieg sie und sah mit ernstem Gesicht vor sich nieder.

Er ging erregt auf und ab. „Natürlich habe ich gebeten und gefleht, daß man eine tiefe Herzensneigung nicht starren Familien­traditionen opfern dürfe. Aber umsonst — alles ganz umsonst! Mein alter Herr ist eben ein Mann, der an seinen altererbten Grundsätzen nicht rütteln und nicht deuteln läßt. Schließlich habe ich sogar mit einem Unglück, mit einer Katastrophe, ja sogar mit einem Skandal gedroht. Auch das blieb ohne jeden Erfolg, und jetzt bin ich ratlos, vollkommen hilf- und ratlos.” Matt, wie gebrochen, sank er in einen Sessel.

Da plötzlich preßte sie das Tuch ans Gesicht und begann laut zu schluchzen.

Sofort stand er auf und trat zu ihr heran. „Fräulein Lucie,” bat er leise, „ich weiß, ich fühle es ja, daß Sie mich lieben, und ich brauche es Ihnen doch nicht von neuem zu versichern, daß auch ich Sie wahrhaft und innig liebe. Eben deshalb trifft mich dies unerbittliche Schicksal ja so fürchterlich!”

Zusamengesunken saß sie da und schluchzte noch immer laut auf.

Leise und zart sprach er weiter: „Ich weiß ja auch, daß es in Wirklichkeit nichts gibt, was uns trennen kann. Unsere Seelen haben sich gefunden. Und wenn das unerbittliche Leben uns das letzte, das höchste Glück versagt, ja — dann gibt es eben nur eines, was unseren Leiden ein Ziel setzen kann: wir gehen gemeinsam in de Tod!”

Bebend stand er da. Nun war es heraus. Begierig, atemlos wartete er nun auf die Wirkung seiner Worte. — Aber sie erwiderte nichts darauf. Laut schluchzend jammerte sie weiter.

Nach einem Weilchen begann er von neuem: „Fräulein Lucie, haben Sie gehört, haben Sie meine Worte verstanden?”

Da richtete sie sich auf und sah ihn mit festem, tapferen Blick an und sagte: „Ja, lieber Egon, Sie haben recht, ganz recht! — Es ist ja ein gräßliches Ende, aber es gibt doch für uns keinen anderen Ausweg mehr. — Ja, lassen Sie uns gemeinsam sterben!”

Starr sank er in seinen Stuhl zurück. — Er glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. — Sie nahm es ernst!

Zehnmal schon hatte sein genialer Trick glänzend gewirkt, zehnmal hatte man ihm bedauernd zugenickt, aber keine von den zehn anderen hatte seinen Wunsch erfüllen wollen, vor dem Tode schreckten sie alle zurück, und leicht und glücklich hatte er seine Freiheit wieder gewonnen.

Diese aber, die elfte, sie nahm es ernst! Wortlos und hilflos saß er da und fühlte, wie ihm der Angstschweiß auf die Stirne trat.

Inzwischen war Lucie aufgestanden, an den Schrank getreten und hatte Wasser in ein Glas gegossen. Nun schüttete sie mit bebender Hand ein weißes Pulver hinein.

Jede ihrer Bewegungen verfolgte er mit atemloser Spannung, und doch saß er wie zusammengeknickt da, denn der entsetzliche Schreck lähmte alle Kraft in ihm. Ruhig und gefaßt, mit wahrhaft heroischer Größe, trat sie zu ihm heran, goß die Hälfte des Tranks in ein anderes Glas und reichte dies mit bebender Hand hin.

Die Knie schlotterten ihm, die Zähne klapperten ihm, und die Hände zitterten ihm so stark, daß er das Glas nicht halten konnte, sondern es neben sich stellen mußte.

„Trinken wir also den letzten Trank!” sagte sie mit tonloser Stimme.

Da ermannte er sich. Mit letzter Kraft bat er: „Aber nein, liebe Lucie, doch nicht hier! Nein — nein! Und nicht zusammen! Weshalb der Welt denn noch Stoff zum Skandal geben? Nein! ich werde nach dem Ausland fahren und dort spurlos verschwinden, und Sie, Sie werden auch eine andere Art finden, aus dem Leben zu gehen, als mit solchem Eklat.”

Matt und wehmütig lächelnd blickte sie ihn an. „Lieber Freund, Sie machen zuviel Umstände,” erwiderte sie, „der Lebensmüde kennt keine Rücksicht mehr. Lassen Sie die Leute nachher reden, was sie wollen. Uns kümmert es ja nicht mehr. Hier ist der Trank, genießen wir ihn zusammen, und geben wir der Welt ein Beispiel, was echte und treue Liebe vermag.”

Sie reichte ihm von neuem sein Glas. Er aber nahm das letzte Restchen seiner Stärke zusammen und mit bleicher Angst bat er: „Nein, liebes Kind, nein — nein, nicht hier!”

Da rief sie voll Leidenschaft: „Ah, Sie haben keinen Mut, Baron! Nun gut, so lernen Sie von einer Frau, wie man mit Anstand stirbt!” Und mit einem Zug leerte sie das Glas.

Atemlos stürzte er auf sie zu, um es ihr zu entreißen.

Es war zu spät.

Sie sank bereits schlaff und leblos auf das Sopha hin.

„Fräulein Lucie!” schrie er. „Fräulein Lucie! Um Gottes willen! Hilfe! Hilfe! Es ist ein Unglück geschehen! Einen Arzt! Schnell einen Arzt!”

In bebender Hast rannte er hinaus und alarmierte das ganze Haus.

*           *           *

Nach zehn Minuten bereits war ärztliche Hilfe zur Stelle.

Aber als er mit dem Doktor und dem Heilgehilfen wieder ins Zkmmer trat, glaubte er seinen Augen nicht trauen zu sollen: Da vor ihm am Tisch saß Fräulein Lucie Sebenstein, frisch und gesund und lachte mit so herzerfrischendem Humor, daß er immer erstaunter wurde.

„Bester Herr Doktor,” sagte sie, „Ihre liebenswürdige Bemühung ist umsonst, denn der leichte Unfall ist bereits völlig kuriert. Entschuldigen Sie die unnötige Störung.”

Ganz betreten und verlegen komplimentierte Egon den Arzt wieder hinaus.

Als der Baron Egon von Zeck aber wieder zurück ins Zimmer kam, setzte er eine ernste, würdevolle, ja fast eine strafende Miene auf, indem er feierlich begann: „Meine Gnädigste, darf ich nun wohl um Aufklärung bitten für das — nun sagen wir — sonderbare Spiel, das Sie mit mir zu treiben die liebenswürdige Laune hatten!”

„Gewiß, Herr Baron,” entgegnete sie heiter und mit leiser Ironie, „ich wollte Ihnen eben nur zeigen, daß ich ebensoviel und vielleicht noch mehr Talent als Sie habe zum Komödienspielen. Ich wollte Ihnen ferner zeigen, daß selbst Ihr so genialer Trick, den Sie vor kurzem im Klub, als Sie über den Durst getrunken, ausgeplaudert hatten, daß selbst ein so genialer Gedanke des Barons Egon von Zeck auch noch zu übertrumpfen ist. Weiter wollte ich nichts. So, und nun, Herr Baron, sind Sie frei und können bei dem reichen Fräulein von Bärwald von neuem Ihr Glück versuchen!”

Da nahm Baron Egon von Zeck seinen Zylinder, machte eine durchaus korrekte Verbeugung und verschwand.

Noch am selben Tage trat er eine Erholungsreise nach dem Süden an.

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